Gastbeitrag – Andy Müller-Maguhn und Ingrid Köppe – STASI aufgelöst oder das “Operationsgebiet” übernommen

Staatssicherheit aufgelöst
oder:
das Operationsgebiet eingenommen?

„Nach langer Verzögerung der Antwort leugnet die Bundesregierung nun weitgehendst die skandalösen Vorgänge, die mir während meiner USA-Reise unmißverständlich berichtet wurden:
[…] daß die CIA derzeit mit tatkräftiger Unterstützung bundesdeutscher Dienste ehemalige Stasi-Offiziere unter Vertrag nimmt.”

Aus einer Presseerklärung der innenpolitischen Sprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen vom 10.03.1992, Ingrid Köppe
Ergebnis einer bisher erst groben Analyse von Datenhinterlassenschaften

Manche Artikel basieren auf langen Geschichten. Bei anderen Artikeln ist es genau umgekehrt: Artikel verursachen lange Geschichten. Bei diesem Artikel ist die Geschichte evtl. in beide Richtungen gleich lang. Und zwar ziemlich.

Als die Deutsche Demokratische Republik (DDR) aufgelöst wurde, hat sie neben merkwürdigen Erinnerungen auch noch – so glaubte man – eine der am besten dokumentierten Aktenlage der zweitbesten “politischen Geheimpolizei” der Welt hinterlassen. Die Gauck-Behörde, offiziell “Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik” verwaltet immerhin etliche Tonnen Akten und macht sie den betroffenen – Tätern wie Opfern – mit gewissen datenschutzrechtlichen Einschränkungen zugänglich. Geschichtsaufarbeitung sollte möglich werden.

Die Bürger der ehemaligen DDR schienen erreicht zu haben was sie wollten: das Ministerium für Staatssicherheit (die “Stasi”) war aufgelöst, die DDR auch, ein paar leitende Funktionäre im Gefängnis und die DDR jetzt BRD. Und jetzt kommen wir zu den Schönheitsfehlern dieser Operation.

Bei der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit wurden ja, wie das neudeutsch so schön heißt, “einige Arbeitskräfte auf den Markt freigesetzt.” Schon die Frage wie viele Mitarbeiter das Ministerium für Staatssicherheit denn hauptamtlich hatte, lässt sich leider nicht so einfach beantworten. Es gibt zwar einen Haufen Akten, und Personallisten, aber die Interpretationen dieses Materials gehen dann doch eher weit auseinander.

Nun war für die Bürger der ehemaligen DDR die Frage, wer denn nun früher für die Stasi gearbeitet hat oder nicht, schon eine Frage. Man wollte schließlich nicht mit den selben Genossen noch einmal die – vermeintlich neuen Staatsstrukturen aufbauen. Hilfreich war u.a. die “Liste der Hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS” die seit den frühen 90´er Jahren durch Publikationen der DDR-Bürgerbewegung verbreitet wurde. Sie enthält rund 100.000 Mitarbeiter bzw. Datensätze (genau: 97.058 plus minus ein paar) und gilt – präzise galt – als authentisch. Auch die juristischen Auseinandersetzungen, die die Verbreiter dieser Liste bekamen (“Die Andere” Berlin wegen Abdruck, Neues Forum Halle wegen Auslegen und http://www.nierenspende.de wegen Verbreitung im Netz), sprachen zumindest dafür, daß die Liste echte Namen enthält.

Als die Bürgerbewegten die Daten in den frühen 90er Jahren mit dBase verarbeiten, waren die damals genutzten 386er eher an den Grenzen ihrer Belastung. Bei 100.000 Daten fielen komfortable Suchaktionen und Quervergleiche eher aus. Das ist zum Glück heute etwas anders.

Im Kontext eines Kongresses in der ehemaligen Parteischule der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der ehemaligen DDR kam neulich mal jemand vorbei und erzählt merkwürdige Geschichten: das ungefähr die Hälfte der Stasi-Mitarbeiter kurz vor der sogenannten Wiedervereinigung unter den Tisch gefallen sei. Zunächst war ein etwas toleranter Umgang mit dem Fassungsvermögen der eigenen Hirnstrukturen gefordert: die Mauscheleien zwischen Ost- und Westdiensten, die der junge Mann skizzierte, waren zwar in sich schlüssig, entbehrten allerdings auch nicht einer gewissen Komplexität. Nachweise sollten folgen.

Ein Hinweis war, daß mit der erwähnten Mitarbeiterliste der hauptamtlichen Mitarbeiter etwas nicht stimmte; bestimmte Geburtstage würden in ihnen fehlen. Und damit fängt die Geschichte an, auch wenn dieser Artikel nur eine erste Auflistung von Merkwürdigkeiten liefern kann.

Die Mitarbeiterliste der hauptamtlichen Mitarbeiter ist im Netz verfügbar: mit dem Dateinamen ma_stasi.zip wird man z.B. fündig. Welche Version Ihr allerdings im Netz findet, die von welcher Dienststelle welchen Geheimdienstes modifiziert wurde, kann ich euch nicht sagen.
Als Orientierung kann http://cryptome.org/stasi-list.htm helfen.

Die Struktur dieser Datenbank bzw. Liste besteht aus:

 

  • Personenkennzeichen (PKZ)

Die PKZ ist das Identifikationskennzeichen für DDR-Bürger. Sie setzt sich zusammen aus Geburtsdatum (TTMMJJ), Geschlechtskennzeichen ( 4 = m; 5 = w ), 4-stelliger Ursprungskennziffer (erste Anmeldung) und einer Prüfziffer. Der Algorithmus liegt vor. Die Datenbank der Ursprungskennziffer ist derzeit noch in der Erstellung (schlecht lesbare Papiervorlage). Die Papiere gibt es in Kürze. 

  • Diensteinheitenschlüssel (AB;CD;EF)  

Der Diensteinheitenschlüssel besteht aus 3 Gruppen á zwei Ziffern, wird aber zusammengezogen interpretiert. Er gibt die Einheit des MFS an, bei dem der/diejenige gearbeitet hat. 

  • Namensfeld (Name, Mittelname, Vorname) 
  • Gehalt  

Die genaue Bedeutung des Gehaltsfeldes ist umstritten. Einige behaupten, es handele sich hier um das Jahresgehalt. Andere sagen, es sei das Gehalt seit Frühjahr 1989. Dritte sagen was ganz anderes. Klar ist:
Die Liste enthält Gehaltszahlen aus denen sich möglicherweise ein Hierarchiestatus interpretieren lässt. Das kann Information oder Desinformation sein. 

Häufigkeitsverteilungen von Geburtstagen in einer Liste von hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS

Tag Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Sum
1 261 292 316 255 271 256 246 288 228 299 259 242 3 213
2 319 292 275 240 279 247 280 263 258 289 253 251 3 246
3 263 260 281 267 277 286 262 254 284 266 261 285 3 246
4 282 255 299 264 271 262 267 242 276 271 276 231 3 196
5 263 292 291 265 273 235 301 256 298 269 250 236 3 229
6 258 288 269 278 284 265 264 271 264 294 251 233 3 219
7 293 295 313 268 301 254 257 284 255 286 258 280 3 344
8 284 291 303 276 263 281 228 243 252 261 290 257 3 229
9 264 280 293 253 312 279 258 241 238 265 278 275 3 236
10 275 285 308 258 273 237 248 255 280 262 271 273 3 225
11 255 285 266 290 282 272 269 298 277 264 247 244 3 249
12 253 293 268 268 256 236 274 248 303 237 281 268 3 185
13 259 275 296 310 242 283 236 260 260 225 270 289 3 205
14 245 273 303 261 261 252 261 256 281 263 246 271 3 173
15 279 294 296 262 288 273 256 265 292 254 223 270 3 252
16 281 259 262 267 307 277 257 245 325 273 265 245 3 263
17 297 2 0 0 0 0 0 0 233 229 246 275 1 282
18 253 289 292 309 280 281 282 254 297 247 270 264 3 318
19 270 308 282 288 259 264 268 267 328 228 251 236 3 249
20 309 291 269 273 303 275 255 245 310 255 263 274 3 322
21 250 286 299 245 279 260 263 236 311 279 267 268 3 243
22 280 287 271 265 241 243 260 265 291 243 245 269 3 160
23 283 259 299 297 288 272 259 268 330 277 268 290 3 390
24 280 283 257 273 287 260 224 263 286 233 238 261 3 145
25 290 333 290 294 282 268 287 261 298 263 254 261 3 381
26 277 266 305 255 284 271 258 245 326 271 285 234 3 277
27 267 312 303 271 253 222 277 276 327 242 269 238 3 257
28 308 289 294 268 279 281 274 268 311 252 265 262 3 351
29 287 71 292 275 279 265 257 275 317 264 250 264 3 096
30 275 *** 311 313 277 268 280 264 289 243 275 265 3 060
31 289 *** 269 *** 254 *** 237 271 *** 239 *** 258 1 817
Su 8 549 7 785 8 672 7 908 8 285 7 625 7 845 7 827 8 625 8 043 7 825 8 069 97.058

Zunächst sind wir also dem Hinweis auf Unregelmäßigkeiten im Bezug auf die Geburtsdaten nachgegangen. In der Tat scheint es bei der Stasi gewisse geburtenschwache Tage gegeben zu haben; unabhängig vom Geburtsjahr der jeweiligen finden sich weder am 17.03., 17.04., 17.05., 17.06., 17.07., 17.08. irgendwelche Einträge. Am 17.02. finden sich zwar 2 Einträge, allerdings sind beide aus dem Jahrgang 1927. Bei allem Verständnis für historische Aufarbeitung handelt es sich hier offensichtlich um Rentner.

Alle anderen Geburtstage scheinen in der Datenbank sehr gleichmäßig verteilt zu sein. Bei einer groben Annahme (Sollwert) von 100.000 Einträgen, geteilt durch die Anzahl möglicher Geburtstage (365) wäre der mathematische Richtwert 273 Geburten pro Tag. In Unkenntnis etwaiger geburtenschwachen Tage bzw. Monate handelt es sich bei den vorliegenden Zahlen entweder um eine erstaunlich primitiv frisierte Datenbase oder um eine relativ mittelwertgenaue Geburtsanhäufung.

Diese beiden Indikatoren (fehlende 17. und Mittelwert-Genauigkeit) können insofern nur bedingt als Indizien für eine Datenmanipulation gewertet werden. Für beide sind “natürliche” Erklärungen dankbar. Im Bezug auf die fehlenden Geburten an den 17. kann es sich um einen – immerhin 10 Jahre nicht bemerkten – Datenverlust bei der Konvertierung von Datenträgern schlechter Qualität handeln. Ein entsprechender Hinweis auf mögliche Datenträgerschäden liegt aus den Kreisen der konvertierenden Bürgerbewegten vor, konnte allerdings bis Redaktionsschluss noch nicht verifiziert werden. Ob der Indikator der “gleichmäßigen” Verteilung (die Geburten pro Tag bewegen sich alle passgenau um den Mittelwert von 273) gewertet werden kann, kann ich mangels Hinweisen auf etwaige übliche ungleichmäßigen Verteilungen nicht feststellen.

Wesentlich aufschlussreicher und als deutlichster Hinweis kann da schon der Abgleich der vorhandenen Datensätze der hauptamtlichen Mitarbeiter mit dem Diensteinheitenschlüssel gelten. Von den 2286 insgesamt vorhandenen Abteilungen der Staatssicherheit wären beispielsweise 1349 ohne einen einzigen Mitarbeiter. Diese Unterbesetzung ist wohl selbst bei großzügiger Lesart unrealistisch.

Noch deutlicher wird die Manipulation der HA-Datenbank allerdings, wenn man sich die Diensteinheitenzuweisung im Detail anguckt. Als Beispiel für eine etwas detailliertere Analyse sei hier mal die Hauptabteilung III (Funkaufklärung) genommen. Unter dem “generellen” Diensteinheitenschlüssel 940300 finden sich immerhin insgesamt 2312 Mitarbeiter. In den jeweiligen Diensteinheiten finden sich allerdings keine Mitarbeiter. Eine grobe Hierarchie ließe sich zwar aus den Gehaltszahlungen ableiten, aber keine Zuweisung zu den Diensteinheiten.

Diese Strukturverschleierung tritt bei allen Hauptabteilungen auf, in den Bezirksverwaltungen des MfS hingegen ist sie vorhanden. Wenn die Strukturverschleierung in der Datenbank eine grundsätzlich vom MfS betriebene wäre, würde sie wohl kaum die Bezirksverwaltungen außen vor lassen. Als Beispiel hierfür sei willkürlich Leipzig gewählt.

Hier allerdings liegen die Unterabteilungen offen; lediglich auf der Ebene der Leiter fehlen die Hinweise. Und dann gibt es noch Mitarbeiter in Abteilungen, wo nur die Abteilungsschlüssel vorliegen, allerdings nichts über die Abteilungen selbst bekannt ist.

Als Zusammenfassung dieser ersten groben Analyse muss man wohl feststellen, daß aufgrund dieser deutlichen Indikatoren für eine Manipulation der Datenbestände auch die anderen Abteilungszuweisungen nicht wirklich als verlässliche Werte angenommen werden können. In Zusammenhang mit verschiedenen Hinweisen auf den Zeitraum, der der Staatssicherheit für eine Strukturverschleierung bzw. partielle Verlagerung von Personalbeständen in andere Organisationen (Wirtschaftsunternehmen, staatliche geführte Unternehmungen etc.) zur Verfügung stand, könnte man sich schon Sorgen machen. Wenn man dann noch die Hinweise auf die Übernahme des kompletten Personalbestands einzelner Abteilungen durch andere Dienste – z.B. amerikanische – hinzuzieht, kann man sich wahlweise in schlechter Laune oder Aufdeckung aktiver Strukturen üben.

Um eine gründlichere Analyse durchzuführen, gibt es zunächst verschiedene Gedankenspiele. Die meisten Forschungsanträge der Gauck-Behörde und verfügbare Literatur über die Aktivitäten des MfS betreffen beispielsweise eher thematische als strukturelle Belange. Eine systematische Strukturanalyse wäre also in den jeweiligen Bereichen ein möglicher Ansatz.

Weitere mögliche Herangehensweisen wären durch differenzierte Arbeitshypothesen denkbar. Wenn man beispielsweise die offensichtliche Datenmanipulation der Hauptamtlichen-Liste zusammen mit den Rentenansprüchen ehemaliger HA-ler in die These der gewinnträchtigen Einführung von Personen mit mehreren Identitäten umwandelt, gäbe dies Anlass zur Überprüfung gewisser Geburtstage. Viel Spaß am Gerät.

Andy Müller-Maguhn, andy@ccc.de

Wer noch Material beizusteuern hat, ist herzlich eingeladen, dies an die Redaktion Datenschleuder auf elektronischem ( ds@ccc.de) oder postalischem Wege (Postfach 640236, D-10048 Berlin) zu tun.

„Nach langer Verzögerung der Antwort leugnet die Bundesregierung nun weitgehendst die skandalösen Vorgänge, die mir während meiner USA-Reise unmißverständlich berichtet wurden:
[…] daß die CIA derzeit mit tatkräftiger Unterstützung bundesdeutscher Dienste ehemalige Stasi-Offiziere unter Vertrag nimmt.”

Aus einer Presseerklärung der innenpolitischen Sprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen vom 10.03.1992, Ingrid Köppe
Ergebnis einer bisher erst groben Analyse von Datenhinterlassenschaften

Manche Artikel basieren auf langen Geschichten. Bei anderen Artikeln ist es genau umgekehrt: Artikel verursachen lange Geschichten. Bei diesem Artikel ist die Geschichte evtl. in beide Richtungen gleich lang. Und zwar ziemlich.

Als die Deutsche Demokratische Republik (DDR) aufgelöst wurde, hat sie neben merkwürdigen Erinnerungen auch noch – so glaubte man – eine der am besten dokumentierten Aktenlage der zweitbesten “politischen Geheimpolizei” der Welt hinterlassen. Die Gauck-Behörde, offiziell “Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik” verwaltet immerhin etliche Tonnen Akten und macht sie den betroffenen – Tätern wie Opfern – mit gewissen datenschutzrechtlichen Einschränkungen zugänglich. Geschichtsaufarbeitung sollte möglich werden.

Die Bürger der ehemaligen DDR schienen erreicht zu haben was sie wollten: das Ministerium für Staatssicherheit (die “Stasi”) war aufgelöst, die DDR auch, ein paar leitende Funktionäre im Gefängnis und die DDR jetzt BRD. Und jetzt kommen wir zu den Schönheitsfehlern dieser Operation.

Bei der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit wurden ja, wie das neudeutsch so schön heißt, “einige Arbeitskräfte auf den Markt freigesetzt.” Schon die Frage wie viele Mitarbeiter das Ministerium für Staatssicherheit denn hauptamtlich hatte, lässt sich leider nicht so einfach beantworten. Es gibt zwar einen Haufen Akten, und Personallisten, aber die Interpretationen dieses Materials gehen dann doch eher weit auseinander.

Nun war für die Bürger der ehemaligen DDR die Frage, wer denn nun früher für die Stasi gearbeitet hat oder nicht, schon eine Frage. Man wollte schließlich nicht mit den selben Genossen noch einmal die – vermeintlich neuen Staatsstrukturen aufbauen. Hilfreich war u.a. die “Liste der Hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS” die seit den frühen 90´er Jahren durch Publikationen der DDR-Bürgerbewegung verbreitet wurde. Sie enthält rund 100.000 Mitarbeiter bzw. Datensätze (genau: 97.058 plus minus ein paar) und gilt – präzise galt – als authentisch. Auch die juristischen Auseinandersetzungen, die die Verbreiter dieser Liste bekamen (“Die Andere” Berlin wegen Abdruck, Neues Forum Halle wegen Auslegen und http://www.nierenspende.de wegen Verbreitung im Netz), sprachen zumindest dafür, daß die Liste echte Namen enthält.

Als die Bürgerbewegten die Daten in den frühen 90er Jahren mit dBase verarbeiten, waren die damals genutzten 386er eher an den Grenzen ihrer Belastung. Bei 100.000 Daten fielen komfortable Suchaktionen und Quervergleiche eher aus. Das ist zum Glück heute etwas anders.

Im Kontext eines Kongresses in der ehemaligen Parteischule der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der ehemaligen DDR kam neulich mal jemand vorbei und erzählt merkwürdige Geschichten: das ungefähr die Hälfte der Stasi-Mitarbeiter kurz vor der sogenannten Wiedervereinigung unter den Tisch gefallen sei. Zunächst war ein etwas toleranter Umgang mit dem Fassungsvermögen der eigenen Hirnstrukturen gefordert: die Mauscheleien zwischen Ost- und Westdiensten, die der junge Mann skizzierte, waren zwar in sich schlüssig, entbehrten allerdings auch nicht einer gewissen Komplexität. Nachweise sollten folgen.

Ein Hinweis war, daß mit der erwähnten Mitarbeiterliste der hauptamtlichen Mitarbeiter etwas nicht stimmte; bestimmte Geburtstage würden in ihnen fehlen. Und damit fängt die Geschichte an, auch wenn dieser Artikel nur eine erste Auflistung von Merkwürdigkeiten liefern kann.

Die Mitarbeiterliste der hauptamtlichen Mitarbeiter ist im Netz verfügbar: mit dem Dateinamen ma_stasi.zip wird man z.B. fündig. Welche Version Ihr allerdings im Netz findet, die von welcher Dienststelle welchen Geheimdienstes modifiziert wurde, kann ich euch nicht sagen.
Als Orientierung kann http://cryptome.org/stasi-list.htm helfen.

Die Struktur dieser Datenbank bzw. Liste besteht aus:

 

  • Personenkennzeichen (PKZ)

Die PKZ ist das Identifikationskennzeichen für DDR-Bürger. Sie setzt sich zusammen aus Geburtsdatum (TTMMJJ), Geschlechtskennzeichen ( 4 = m; 5 = w ), 4-stelliger Ursprungskennziffer (erste Anmeldung) und einer Prüfziffer. Der Algorithmus liegt vor. Die Datenbank der Ursprungskennziffer ist derzeit noch in der Erstellung (schlecht lesbare Papiervorlage). Die Papiere gibt es in Kürze. 

  • Diensteinheitenschlüssel (AB;CD;EF)  

Der Diensteinheitenschlüssel besteht aus 3 Gruppen á zwei Ziffern, wird aber zusammengezogen interpretiert. Er gibt die Einheit des MFS an, bei dem der/diejenige gearbeitet hat. 

  • Namensfeld (Name, Mittelname, Vorname) 
  • Gehalt  

Die genaue Bedeutung des Gehaltsfeldes ist umstritten. Einige behaupten, es handele sich hier um das Jahresgehalt. Andere sagen, es sei das Gehalt seit Frühjahr 1989. Dritte sagen was ganz anderes. Klar ist:
Die Liste enthält Gehaltszahlen aus denen sich möglicherweise ein Hierarchiestatus interpretieren lässt. Das kann Information oder Desinformation sein. 

Häufigkeitsverteilungen von Geburtstagen in einer Liste von hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS

Tag Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Sum
1 261 292 316 255 271 256 246 288 228 299 259 242 3 213
2 319 292 275 240 279 247 280 263 258 289 253 251 3 246
3 263 260 281 267 277 286 262 254 284 266 261 285 3 246
4 282 255 299 264 271 262 267 242 276 271 276 231 3 196
5 263 292 291 265 273 235 301 256 298 269 250 236 3 229
6 258 288 269 278 284 265 264 271 264 294 251 233 3 219
7 293 295 313 268 301 254 257 284 255 286 258 280 3 344
8 284 291 303 276 263 281 228 243 252 261 290 257 3 229
9 264 280 293 253 312 279 258 241 238 265 278 275 3 236
10 275 285 308 258 273 237 248 255 280 262 271 273 3 225
11 255 285 266 290 282 272 269 298 277 264 247 244 3 249
12 253 293 268 268 256 236 274 248 303 237 281 268 3 185
13 259 275 296 310 242 283 236 260 260 225 270 289 3 205
14 245 273 303 261 261 252 261 256 281 263 246 271 3 173
15 279 294 296 262 288 273 256 265 292 254 223 270 3 252
16 281 259 262 267 307 277 257 245 325 273 265 245 3 263
17 297 2 0 0 0 0 0 0 233 229 246 275 1 282
18 253 289 292 309 280 281 282 254 297 247 270 264 3 318
19 270 308 282 288 259 264 268 267 328 228 251 236 3 249
20 309 291 269 273 303 275 255 245 310 255 263 274 3 322
21 250 286 299 245 279 260 263 236 311 279 267 268 3 243
22 280 287 271 265 241 243 260 265 291 243 245 269 3 160
23 283 259 299 297 288 272 259 268 330 277 268 290 3 390
24 280 283 257 273 287 260 224 263 286 233 238 261 3 145
25 290 333 290 294 282 268 287 261 298 263 254 261 3 381
26 277 266 305 255 284 271 258 245 326 271 285 234 3 277
27 267 312 303 271 253 222 277 276 327 242 269 238 3 257
28 308 289 294 268 279 281 274 268 311 252 265 262 3 351
29 287 71 292 275 279 265 257 275 317 264 250 264 3 096
30 275 *** 311 313 277 268 280 264 289 243 275 265 3 060
31 289 *** 269 *** 254 *** 237 271 *** 239 *** 258 1 817
Su 8 549 7 785 8 672 7 908 8 285 7 625 7 845 7 827 8 625 8 043 7 825 8 069 97.058

Zunächst sind wir also dem Hinweis auf Unregelmäßigkeiten im Bezug auf die Geburtsdaten nachgegangen. In der Tat scheint es bei der Stasi gewisse geburtenschwache Tage gegeben zu haben; unabhängig vom Geburtsjahr der jeweiligen finden sich weder am 17.03., 17.04., 17.05., 17.06., 17.07., 17.08. irgendwelche Einträge. Am 17.02. finden sich zwar 2 Einträge, allerdings sind beide aus dem Jahrgang 1927. Bei allem Verständnis für historische Aufarbeitung handelt es sich hier offensichtlich um Rentner.

Alle anderen Geburtstage scheinen in der Datenbank sehr gleichmäßig verteilt zu sein. Bei einer groben Annahme (Sollwert) von 100.000 Einträgen, geteilt durch die Anzahl möglicher Geburtstage (365) wäre der mathematische Richtwert 273 Geburten pro Tag. In Unkenntnis etwaiger geburtenschwachen Tage bzw. Monate handelt es sich bei den vorliegenden Zahlen entweder um eine erstaunlich primitiv frisierte Datenbase oder um eine relativ mittelwertgenaue Geburtsanhäufung.

Diese beiden Indikatoren (fehlende 17. und Mittelwert-Genauigkeit) können insofern nur bedingt als Indizien für eine Datenmanipulation gewertet werden. Für beide sind “natürliche” Erklärungen dankbar. Im Bezug auf die fehlenden Geburten an den 17. kann es sich um einen – immerhin 10 Jahre nicht bemerkten – Datenverlust bei der Konvertierung von Datenträgern schlechter Qualität handeln. Ein entsprechender Hinweis auf mögliche Datenträgerschäden liegt aus den Kreisen der konvertierenden Bürgerbewegten vor, konnte allerdings bis Redaktionsschluss noch nicht verifiziert werden. Ob der Indikator der “gleichmäßigen” Verteilung (die Geburten pro Tag bewegen sich alle passgenau um den Mittelwert von 273) gewertet werden kann, kann ich mangels Hinweisen auf etwaige übliche ungleichmäßigen Verteilungen nicht feststellen.

Wesentlich aufschlussreicher und als deutlichster Hinweis kann da schon der Abgleich der vorhandenen Datensätze der hauptamtlichen Mitarbeiter mit dem Diensteinheitenschlüssel gelten. Von den 2286 insgesamt vorhandenen Abteilungen der Staatssicherheit wären beispielsweise 1349 ohne einen einzigen Mitarbeiter. Diese Unterbesetzung ist wohl selbst bei großzügiger Lesart unrealistisch.

Noch deutlicher wird die Manipulation der HA-Datenbank allerdings, wenn man sich die Diensteinheitenzuweisung im Detail anguckt. Als Beispiel für eine etwas detailliertere Analyse sei hier mal die Hauptabteilung III (Funkaufklärung) genommen. Unter dem “generellen” Diensteinheitenschlüssel 940300 finden sich immerhin insgesamt 2312 Mitarbeiter. In den jeweiligen Diensteinheiten finden sich allerdings keine Mitarbeiter. Eine grobe Hierarchie ließe sich zwar aus den Gehaltszahlungen ableiten, aber keine Zuweisung zu den Diensteinheiten.

Diese Strukturverschleierung tritt bei allen Hauptabteilungen auf, in den Bezirksverwaltungen des MfS hingegen ist sie vorhanden. Wenn die Strukturverschleierung in der Datenbank eine grundsätzlich vom MfS betriebene wäre, würde sie wohl kaum die Bezirksverwaltungen außen vor lassen. Als Beispiel hierfür sei willkürlich Leipzig gewählt.

Hier allerdings liegen die Unterabteilungen offen; lediglich auf der Ebene der Leiter fehlen die Hinweise. Und dann gibt es noch Mitarbeiter in Abteilungen, wo nur die Abteilungsschlüssel vorliegen, allerdings nichts über die Abteilungen selbst bekannt ist.

Als Zusammenfassung dieser ersten groben Analyse muss man wohl feststellen, daß aufgrund dieser deutlichen Indikatoren für eine Manipulation der Datenbestände auch die anderen Abteilungszuweisungen nicht wirklich als verlässliche Werte angenommen werden können. In Zusammenhang mit verschiedenen Hinweisen auf den Zeitraum, der der Staatssicherheit für eine Strukturverschleierung bzw. partielle Verlagerung von Personalbeständen in andere Organisationen (Wirtschaftsunternehmen, staatliche geführte Unternehmungen etc.) zur Verfügung stand, könnte man sich schon Sorgen machen. Wenn man dann noch die Hinweise auf die Übernahme des kompletten Personalbestands einzelner Abteilungen durch andere Dienste – z.B. amerikanische – hinzuzieht, kann man sich wahlweise in schlechter Laune oder Aufdeckung aktiver Strukturen üben.

Um eine gründlichere Analyse durchzuführen, gibt es zunächst verschiedene Gedankenspiele. Die meisten Forschungsanträge der Gauck-Behörde und verfügbare Literatur über die Aktivitäten des MfS betreffen beispielsweise eher thematische als strukturelle Belange. Eine systematische Strukturanalyse wäre also in den jeweiligen Bereichen ein möglicher Ansatz.

Weitere mögliche Herangehensweisen wären durch differenzierte Arbeitshypothesen denkbar. Wenn man beispielsweise die offensichtliche Datenmanipulation der Hauptamtlichen-Liste zusammen mit den Rentenansprüchen ehemaliger HA-ler in die These der gewinnträchtigen Einführung von Personen mit mehreren Identitäten umwandelt, gäbe dies Anlass zur Überprüfung gewisser Geburtstage. Viel Spaß am Gerät.

Andy Müller-Maguhn, andy@ccc.de

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