Die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit wird gemeinhin als Problem der Ostdeutschen betrachtet. Tatsächlich war die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aber in erheblichem Maße auch auf die westdeutsche Gesellschaft gerichtet. Nur wenigen ist bewußt, wie groß das Ausmaß geheimdienstlicher Durchdringung der alten Bundesrepublik war.
Der Historiker Hubertus Knabe hat in den ehemaligen Stasi-Archiven systematisch die West-Arbeit des MfS erforscht. Obwohl die Stasi in großem Maße Spurenbeseitigung betrieb, kann er erstmals im Detail zeigen, wie sie den Westen infiltrierte. Mehr als 20.000 Westdeutsche lieferten regelmäßig Informationen aus Parteien, Verbänden, Unternehmen, Kirchen, Medien, Universitäten, Geheimdiensten. Vom vorzeitigen Amtsverzicht des Bundespräsidenten Heinrich Lübke bis zum Scheitern des Mißtrauensvotums gegen Bundeskanzler Willy Brandt, von der Studentenbewegung des Jahres 1968 bis zu den Anti-Raketen-Protesten der achziger Jahre – die Stasi war immer dabei.
Knabes Buch macht auf beklemmende Weise deutlich, wie sehr die Stasi letzlich ein gesamtdeutsches Problem ist. Keine Darstellung der deutschen Nachkriegsgeschichte wird künftig dieses nach wie vor brisante Kapitel aussparen können. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte über 100 Spitzel auf die Unterwanderung westdeutscher Menschenrechtsorganisationen angesetzt. Ihre Akten liegen fast vollständig im Archiv der Gauck-Behörde. Die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) wurden noch 1989 aus der DDR in den Westen geschickt.
Sie hatten den Auftrag, etwa die West-Berliner Arbeitsgemeinschaft 13. August und die Gesellschaft für Menschenrechte zu unterwandern. Einige der Stasi-Spitzel stiegen sogar in Führungspositionen auf oder gründeten eigene Ortsgruppen. In den IM-Akten finden sich Schriftwechsel, Hilfeersuchen von DDR-Bürgern und detaillierte Berichte über geplante Betreuungsmaßnahmen. Auf die früher in West-Berlin obligatorischen Vernehmungen durch westliche Geheimdienste waren die Agenten gut vorbereitet. So erzählte ein Spitzel namens “Axel” den Staatsschützern auftragsgemäß, er sei von der Stasi bei Vernehmungen geschlagen worden.
Andere Mielke-Spitzel wurden Mitglieder von Fluchthilfeorganisationen und verrieten ihre Schützlinge an die Stasi. So lieferte einer der Fluchthelfer der “gerichtsbekannten kriminellen Bande Fürch” (Neues Deutschland) fast jeden seiner Schützlinge nicht im Westen, sondern bei der Stasi ab. Auch die Aufnahmelager für DDR-Bürger in Gießen und in West-Berlin wurden mit Hilfe von Stasi-Spähern kontrolliert. Einigen gelang es, enge Kontakte zu konservativen West-Politikern zu knüpfen und sie auszuspähen. Der IM “Karl Diener” verschaffte der Stasi “operativ bedeutsame Informationen” zur Deutschlandpolitik. Quelle laut Stasi-Maßnahmeplan: “ein Repräsentant der Regierungskoalition der BRD”.


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